Da steht er nun auf der Bühne, die Scheinwerfer auf ihn gerichtet und lächelt sein Gewinnerlächeln. Es ist alles nur ein Spiel, ein einziges großes Spiel, und ich die kleine rote Spielfigur, kurz vor dem Fall…
Er war ein Spieler, schon immer gewesen, doch er war keiner von denen, die immer ein As im Ärmel hatten. Er war kein Falschspieler, noch nie gewesen, weil er es nicht nötig hatte, weil es sein Spiel war und er derjenige, der die Regeln erstellte. Und die anderen machten mit, ohne dass sie diese Regeln kannten, sie wussten nicht einmal um was sie spielten, was der Gewinn war. Er wusste es, denn es war sein Spiel, mit seinen Regeln, der Gewinn? Das Leben selbst, dem Unvorhergesehenen immer einen Schritt voraus zu sein, Zufälle nutzen, Spielzüge kreuzen, die Figuren nach seinem Belieben aufstellen.
Manchmal fühlte er sich selbst wie eine Figur auf einem gigantischen Spielbrett. „Mensch-ärgere-dich-nicht“ dröhnte es in seinem Kopf, wenn er aus der Bahn geworfen wurde. Auch er konnte nicht immer gewinnen, das wusste er, doch darum ging es ja gar nicht. Es ging um das Spiel selbst und darum, wie er mit der Situation umging. Stolz und erhobenen Hauptes nahm er die kleinen Niederlagen an, denn er wusste, dass am Ende er der Sieger sein würde, denn die anderen kannten seine Regeln nicht. Und dann lächelte er das Lächeln eines Gewinners, der weiß, dass sein Plan aufgehen wird.
Er hatte einmal gesagt, er sei niemand, der nur Spielchen treibt. Er gab sich nicht mit unbedeutenden Brettpartien ab. Er spielte das einzig wahre Spiel des Lebens, nichts für schwache Nerven, voll unvorhergesehener Zufälle, Hindernisse, Fallen.
Er sah sich selbst gerne in einem nie enden wollenden Schauspiel, mit ihm in der Hauptrolle. Sobald sich der Vorhang hob, wurde er mit Applaus von der tobenden Menge willkommen geheißen, alle begierig an seinem Leben teilzuhaben, zu sehen, wie er sich durch die unvorhergesehenen Tücken des Alltags kämpfte. Er war ein Kämpfer, doch er schlug sich immer alleine durchs Leben, denn niemand würde seinen Kampf verstehen. Er sah sich gerne als den tragischen Helden einer Tragödie, dennoch träumte er von einem Happyend, seinem ganz persönlichen Glück, dem er entgegenlächelte. Er hatte dieses Lächeln vor dem Spiegel geübt, jedes Mal bevor er auf die Bühne getreten war. Das Lächeln musste jedem von Anfang an zeigen, dass er der Gewinner war, der trotz aller Schwierigkeiten am Ende den Sieg davon tragen würde.
Ich hatte die Angst hinter diesem Lächeln erkannt, hatte den Hilfe suchenden Schrei in seinen Augen gesehen. Gebannt verfolgte ich jede Vorstellung seines Lebens, lachte mit ihm, weinte mit ihm. Sehnsuchtsvoll hingen meine Augen an seinen, verirrten sich in seinen Seelenlabyrinthen. Ich versuchte mich zu befreien, den Ausgang zu finden, doch er hatte mich in seinem Netz gefangen. Meine Augen suchten nach etwas, was mich verstehen ließ, ich wollte ihn kennen, in sein Herz blicken, doch das Gewinnerlächeln hielt mich davon ab zwischen den Zeilen zu lesen. Ich wusste nicht, ob er meinen Blick verstand, doch ich wartete, still und geduldig, ich wusste, irgendwann würde mein großer Auftritt kommen.
Da stand er nun, auf seiner großen, leeren Bühne, stolz und erhaben. Alle Augen ruhten auf ihm, lechzten danach ihn leiden zu sehen, lachen zu sehen, alles drehte sich um ihn, denn es war seine Bühne, seine Welt.
Er war ein Meister der Improvisation. Scheinbar jeder Situation gewachsen, meisterte er erhaben jedes Wortgefecht, behielt die Kontrolle über das Geschehen.
Nur die Frauen brachten ihn ab und an aus dem Konzept. Manche von ihnen wollten sich nicht an sein Drehbuch halten, ignorierten seine Regeln. Sie wollten nicht nur Nebendarsteller in seinem Stück sein, gaben sich nicht mit ihren Rollen zufrieden und lebten sie nach ihren eigenen Vorstellungen. Ihr Verhalten war unvorhersehbar, unberechenbar, er konnte ihre Schritte nicht voraus ahnen, und das machte ihm Angst. Die Angst machte ihn schwach und blind, die Kontrolle über sein Spiel drohte ihm zu entgleiten. Er schreckte vor dem Gedanken zurück sich den Regeln anderer Menschen anzuvertrauen. Er war niemand, der mit sich spielen ließ, niemand, der anderen die Regie über sein Leben überließ.
Unter dem tosenden Applaus des Publikums führte er diese Menschen von der Bühne, bevor sie eine zu große Rolle in seinem Stück einnehmen konnten. Dann ließ er den purpurnen Vorhang fallen, denn es war Zeit für eine neue Szene, mit neuen Nebendarstellern.
Und plötzlich streckt er mir die Hand entgegen, meine Finger schließen sich um seine und er zieht mich auf die Bühne. Ich stehe dort oben und blicke in die erwartungsvollen Gesichter der Menschen unter mir. Ich sehe den Staub vor den Strahlern tanzen, versuche mich nicht ablenken zu lassen, doch das leise Summen der Birnen lässt mich den Augenblick vergessen.
Geblendet vom grellen Licht der Scheinwerfer versuche ich in seinem Gesicht zu lesen, doch seine Miene ist eisern und verschlossen.
Dort stehe ich nun an seiner Seite, mein Herz rast, die Gedanken kreisen, es hat mir die Sprache verschlagen. Ich bin kein Meister der Improvisation wie er, ich habe meinen Text vergessen. Die Zeit scheint still zu stehen, gebannt wartet das Publikum auf eine Reaktion meinerseits, sie wagen kaum zu atmen, das Schweigen wird unerträglich. Verzweifelt suche ich nach Worten, doch ich scheine sie verloren zu haben, das Sprechen verlernt, die eigene Sprache vergessen. Im Boden versinken will ich, mich in Luft auflösen, als Staub vor den Scheinwerfern tanzen, nur nicht hier stehen, vor ihm, mit verschlagener Sprache. Ich fühle wie mein Gesicht rot wird, die Scham in die Wangen steigt, und dann lächelt er. Er hat alles im Griff, verliert nie die Kontrolle, denn es ist sein Stück. Wir spielen gemeinsam, er mit mir, ich mit ihm?
Ich kenne das Drehbuch nicht, ich weiß nicht wie es weitergehen wird, doch ich spiele meine Rolle, lebe den Augenblick, genieße das Gefühl, auf seiner Bühne zu stehen. Ich sehe die Blicke der Zuschauer, wie sie gerührt und hoffnungsvoll das Geschehen beobachten. Einige zweifeln, glauben nicht an das trügerische Glück, blicken hinter den falschen Schein des grellen Bühnenlichtes. Alle fühlen sie mit uns, leiden und hoffen, teilen unsere Verzweiflung und Zuversicht. Vielleicht gibt es ja diesmal das erhoffte Happyend? Vielleicht erkennt er dieses Mal, dass er in seinem Kampf nicht allein ist? Ich bin bereit an seiner Seite zu kämpfen, nach seinen Regeln, obwohl ich nicht weiß wofür wir kämpfen. Ich erinnere mich an die Angst hinter seinem Gewinnerlächeln und spiele weiter, mit ihm auf seiner Bühne. Unserer Bühne? Und dann tanzen wir, er führt, ich lasse mich führen, vertraue mich seinen Armen an. Ich spüre die Kraft, die durch seinen ganzen Körper fließt, die Energie, die Gier nach Leben. Ich spüre Hitze in mir aufsteigen, während dieses Gefühl auch auf mich übergeht, die Kraft durchschießt meine Adern und ich will fliegen, gemeinsam mit ihm über die höchsten Gipfel, bis zu den Sternen. Immer schneller drehen wir uns, jeder Schritt bewusst gesetzt, unsere Füße tragen uns trittsicher über den Bühnenboden, wir selbst in einen Mantel aus wirbelndem Staub gehüllt. Alles dreht sich unaufhaltsam weiter und wir tanzen rastlos im grellen Licht des Scheinwerfers …die Menge applaudiert, als meine Lippen die Seinen berühren, vielleicht gibt es ja doch ein Happyend, vielleicht versteht er endlich, dass er keine Angst mehr haben muss, auch nicht vor der Liebe. Seine Augen suchen meine, fragend und verständnislos blicken sie mich an, ich verliere mich in seinen Seelenblicken, versuche Liebe zu erkennen, doch alles was ich sehe ist mein eigenes Spiegelbild, das sich hoffnungsvoll in seinem Blick verirrt hat. Doch es war nur ein kurzer Moment der Schwäche, dann trägt er wieder seine Maske und lächelt sein Spielerlächeln.
Ich erkenne die Angst hinter seinem krampfhaft verzogenen Mund, langsam wendet er den Blick ab, dreht mir den Rücken zu, ich weiß was jetzt kommt…
Wir treten an den Rand der Bühne, verneigen uns tief unter dem Applaus der Zuschauer, ich sehe Tränen in so manchen Augen blitzen, die Enttäuschung, als der Vorhang fällt…er sieht mir nicht nach, als ich von der Bühne trete, in der Menge verschwinde. Ich sehe aus der Ferne, wie er seine neue Spielfigur auf die Bühne zieht, die Schöne mit den hellen Augen, die eine kleine Rolle in seinem Stück übernehmen darf, und ich weiß bereits, wie auch diese Szene enden wird.
Da steht er nun auf der Bühne, die Scheinwerfer auf ihn gerichtet und lächelt sein Gewinnerlächeln. Es ist alles nur ein Spiel, ein einziges großes Spiel, und ich die kleine rote Spielfigur, kurz nach dem Fall…
©by johannatindomerel
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